19. Oktober 2023

Einsilber

Frau und Meer

Die Frau schaut durch das Glas:
Sie sieht das Meer, das weit vor ihr liegt.
Der Tag ist jung und die Luft riecht frisch nach Salz.
Der Sturm der Nacht ist fort und sie seufzt: Jetzt ist es still.
Das Schiff wiegt sich sanft auf und ab.
Ihr Schlaf war schwer und der Traum war trist und grau.
Sie fühlt sich leer und ihr Kopf schmerzt.
Zwar ist der Raum hell und licht – doch auch der Tee macht sie nicht wach.
Sie steht auf und denkt nach.
Dann hebt sie den Arm, schaut auf die Uhr und fragt sich:
Wo bleibt er nur?
Die Zeit ist längst um.
Sie geht vom Bett zur Tür und dann zum Tisch.
Sie stützt sich schwer auf den Stuhl.
Der knarrt kurz – ein Riss zieht sich durch das Holz.
Der Stuhl kippt um und sie fällt.
Die Frau schreit vor Schreck kurz auf.
Sie stöhnt, denn ein Schmerz jagt durch ihr Bein.
Sie zieht sich am Tisch hoch, der ihr Halt gibt und hebt den Stuhl auf.
Sie weint und seufzt.
Dann: ein Rums. Tom steht in der Tür.
„Nein! Ich will nicht, dass er mich so sieht“, schießt ihr durch den Kopf.
Tom lacht sie aus und grölt, wie dumm sie ist.
Dann dreht er sich um.
Er schnellt in den Flur und knallt die Tür zu.
Sie senkt den Blick.
Dort liegt das Buch, das sie in der Nacht las.
Sie neigt den Kopf und ein Haar fällt ihr in die Stirn.
Sie nimmt das Buch sacht in die Hand und hält es fest.
Sie setzt sich auf den Stuhl und liest.
So taucht sie ab in die Welt, die bunt, schön und leicht ist.
Die Welt, in der sie ihr Glück sucht, nach dem sie sich so sehnt.
Die Welt, in der ein Mann sie liebt.